Arbeiten Publikation Aktuell CV Texte Kontakt Impressum
Startseite Texte

Texte




Im normadischen Raum

Reflexionen zum Werk der Bildhauerin Mareike Drobny
von Jochen Breme

Seit mehr als drei Jahren zeichnet die Bildhauerin Mareike Drobny ihre tägliche zurückgelegten Wege mit Hilfe eines GPS-Gerätes (Global Positioning System), welches sie ständig bei sich trägt, auf. Die kontinuierlich auf die Erde gravierten individuellen Lebensspuren finden von Zeit zu Zeit einen wahrnehmbaren Niederschlag in auf Papier gedruckten Grafiken (Bsp. Hiroshima 2008). Auch wenn diese Arbeit schon durch ihren konzeptuellen Esprit über-
zeugt, ist es doch die fragile, fast poetisch anmutende Lineatur der entstandenen Motive, welche dem Betrachter ein sehr sinnliches Erlebnis eröffnen. Tatsächlich erfährt hier das Medium der Zeichnung, welches schon immer Künstlern als die unmittelbarste Möglichkeit galt dem Unbekannten Motive zu entreissen, eine frappierende Erwei- terung. Jegliche Bewegung ist Zeichnung.
Die durch die Zusammenschau von unzähligen Wegstrecken, die jeweils ihre bewusst gefassten einzelnen Ziele haben, entstandene grosse Grafik offenbart Motive, die sich über das alltägliche planende Bewusstsein erheben. Annäherung an einen unbekannten Ort nennt Mareike Drobny dieses Phänomen. Sie lässt offen, ob damit die Fremde – im konkreten Fall Hiroshima und das Umland dieser Stadt - gemeint ist oder ein anderer unbekannter, übergeordneter Ort, der wie aus der Zukunft heraus diese individuellen Bewegungs-Motive als bio-grafisches Bild niederzeichnet.
Hier steht das Satellitenauge für eine Peripherie, von welcher aus die den alltäglichen Bewegungsspuren entgegen- stehenden geographischen Konturen der fremden Stadt umgeprägt werden zu individuellen Motiven. So kommt in dieser Arbeit ein als nomadisch zu bezeichnendes Milieu zum Tragen, in welchem sich die Künstlerin bereits in frühen Werkzusammenhängen bewegte: in der Installation Paradiessucher erfüllt eine Wolke schwirrender Vögel, wie vom Umkreis angezogen, einen hohen Raum. Diese Umkreisbezogenheit ist es, welche die konzeptionelle Kraft, die die Arbeit von Mareike Drobny kennzeichnet, nie als Form-Korsett erscheinen lässt. Ein bewegter, zentrifugaler Gestus scheint in den letzten Jahren für die Künstlerin ebenso werkbestimmend zu sein wie die periphere Offenheit, mit welcher sie ihre einzelnen Werke beginnt.
Dem gegenüber ist in jeder Arbeit ein an der Bewegung orientierter Wille zur Zentrierung erkennbar. Dass der Künstlerin dabei das Loslassen, die Ortslosigkeit, die Migration zur Basis ihrer Arbeit wird, zum festen Boden, auf dem sich die Werkspuren letztlich doch zielsicher zentrieren, scheint widersinnig. Dem gemäss betitelt Mareike Drobny ein Werk, in welchem sich die aus der Peripherie heraus sich zentrierende Bewegung bis ins Körperhafte hinein manifestiert, als paradoxon. Einem im gefühlten Zentrum des Galerieraumes positionierten Karussell sind
an den Wänden grafische und plastische Objekte gegenübergestellt. Leuchtturmhaft exponiert dreht sich der aller Ketten entledigte Kopf des Karussells und scheint zu den Setzungen im Umkreis eine magische Beziehungen aufzu- bauen. Die Wandobjekte wiederum wenden sich in ihrer physiognomisch wirkenden Symmetrie wie schauende Gesichter zur Mitte. Die grafischen Stickereien entschlüsseln sich dem forschenden Blick als die Physiognomie des Globus, es sind die Konturen der Erdteile, die hier in feinen Stichen – symmetrisch gedoppelt - aufgestickt sind. Die lockere Gesamtkomposition der Installation, die sich einer unmittelbaren Deutung entzieht, erfährt durch diese symmetrischen Setzungen eine seelische Tingierung, welche das Szenarium an der Grenze zum Unbewussten verortet. Nicht von ungefähr nutzt die Psychologie symmetrischorganische Zufallsbilder (Klecksografien) um ins Unterbewusste vorzustossen. Das Formlos-Zufällige erfährt durch die Bindung an eine Spiegelachse so etwas wie eine Verkörperung, bildet Gesicht, findet seelischen Ausdruck.
Dem folgt die Künstlerin, als wolle sie ein Gegenmotiv zu der wachen Vertikalen des Karussells setzen. Sie berträgt die seltsamen grafischen Spiegelphysiognomien in einem im Raum liegenden Objekt ins Körperhafte. Das durch eine schwere Sandfüllung auf dem Boden lastende Stoffgebilde wirkt wie ein Tierleib mit Gliedmassen aber ohne Kopf. So oszilliert die gesamte Installation zwischen Bild und räumlich-körperhafter Präsenz, zwischen flächenhafter
Wandzeichnung und Skulptur, zwischen wacher architektonischer Setzung und dumpfer Leibgebundenheit.
Es sind die Stickereien, die dem gesamten Raum jene nomadische Signatur geben: Kreuz um Kreuz hat die über alle Grafiken wandernde Nadel ihre Fixierungen zu beseelten Motiven addiert, die der Gestalt der Landschaft, der Erde folgen. So erweisen sich die in alten Stoff gewirkten Bilder als Gegenstücke zu den auf Computerpapier ge- druckten Grafiken der oben erwähnten GPS-Arbeit. Die hier beschriebene in Bonn ausgestellte Installation ist ein Zwischenschritt zwischen Studien- und Projektaufenthalten auf den ganzen Welt: Norwegen, Japan, Guatemala, Senegal, Südafrika. Das Werk kann wie eine Miniatur dieser weit ausholenden, vier Kontinente verbindenden Migrationsspur gelesen werden. Wenn die Künstlerin von ihrem Interesse an dem Wesentlichen spricht, welches übrigbleibt, nachdem sie das Aussen hat auf sich einströmen lassen und dies einen Atmungsprozess nennt, rührt sie an den inneren Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Individualisierung. Selbstfindung setzt Offenheit für den Umkreis voraus, eine Wirksamkeit im Umkreis wird wiederum durch Selbstfindung, Individualisierung bedingt. Im nomadischen Raum durchkreuzen und verweben sich die Spuren zwischen Zentrum und Peripherie zu individuellen Motiven.
In zahlreichen Kooperationen mit anderen Künstlern - oft an der Nahtlinie zum öffentlichen Raum - erfährt die oben benannte Atmung eine wesentliche Verdichtung. Hier wird Kunst zum gemeinsamen Forschungsfeld, welches sich allein durch das Loslassen herkömmlicher Grenzsicherungen erschliesst. In dem Projekt Das Spiel (2008, mit Indra Henn, Jasmin Hurst und Nora Mertes) wird die Frage nach der Bedeutung der Regel, des Zufalles, der Freiheit
gestellt, das Projekt Asylier ( Bonn, 2009, mit japanischen und deutschen Künstlern) bringt das Verhältnis zwischen kollektiven und individuellen Motiven in eine fein ausgewogene Spannung. Das Atelier, das individuelle Werk wird hier nicht als sichere Beheimatung sondern lediglich als Asyl im offenen nomadischen Raum gekennzeichnet. Sicherheit im Wagnis des Loslassens gegebener Strukturen zu suchen - diese Grundhaltung kennzeichnet sowohl kuratorische Projekte (springendes reh, Bonn 2009 mit Carolin Eidner; Galerie Bessel mit Nora Mertes, Johanna Kintner, Merle Richter) als auch andere Gemeinschaftsprojekte, mit denen sich Mareike Drobny in den letzten Jahren befasst hat. Dabei geht es nicht darum generell Struktur und Form auszuweichen sondern die Regeln des Tuns anstatt sie als vorgegeben hinzunehmen immer wieder aus dem Tun selbst zu entwickeln. In der jüngsten Gruppenausstellung (multistabile Wahrnehmung, Freiburg 2011) imprägniert Mareike Drobny das gemeinsam bespielte Untergeschoss eines alten Elektrizitätswerkes mit einem waagerechten über zahlreiche Stützpfeiler gezogenen Liniensystem, welches von einem bestimmten Punkt aus die Kanten des Raumes als abstrakte Zeichnung erscheinen lässt. Die Grafik, die einerseits den rational-kartesischen Raum bezeichnet, ist gleichzeitig Horizont und unendlich weite Peripherie. Beides, die Abstraktion der Linie und die Weite, die sie assoziieren lässt, kontrastiert Mareike Drobny durch eine skurile Setzung, die körperhaft und zentrisch ist: ein weisser Pinguin, Tier des offenen Meeres und nur zu Brutzeiten zu Gast auf festem Grund, befragt in neugieriger Haltung den aller vordergründigen Stabilität und Begrenzung entbundenen - nomadischen - Raum.